Wie kann eine Essstörung bestehen, obwohl Betroffene kein Untergewicht haben? Und welche Risiken birgt diese oft unterschätzte Form der Anorexie? Die atypische Anorexie erfüllt alle Kernsymptome der klassischen Anorexia nervosa – wie Angst vor Gewichtszunahme, gestörte Körperwahrnehmung und restriktives Essverhalten – jedoch ohne das typische Untergewicht. Betroffene haben oft ein normales oder sogar erhöhtes Körpergewicht, leiden aber dennoch unter schweren psychischen und körperlichen Folgen. Diese Erkrankung ist oft schwer zu erkennen und erfordert eine gezielte Diagnose sowie eine umfassende Behandlung, um die vielfältigen körperlichen und psychischen Folgen zu verringern.
Triggerwarnung:
Dieser Artikel geht auf das sensible Thema Essstörungen ein, das für manche Menschen triggernd wirken oder Unbehagen auslösen könnte. Bitte lesen Sie daher mit Vorsicht, wenn Sie sich hierdurch emotional belastet fühlen könnten.
Die Abgrenzung zur klassischen Anorexia nervosa liegt primär im Körpergewicht der Betroffenen. Während bei der klassischen Form ein deutliches Untergewicht diagnostisch erforderlich ist, bleibt dieses Kriterium bei der atypischen Anorexie aus.
Im DSM-5 wird die atypische Anorexie unter den „Sonstigen näher bezeichneten Fütter- und Essstörungen“ (Other Specified Feeding or Eating Disorder, OSFED) aufgeführt. Sie erfüllt alle diagnostischen Kriterien der Anorexia nervosa – einschließlich starker Angst vor Gewichtszunahme, gestörter Körperwahrnehmung und restriktivem Essverhalten. Das entscheidende Unterscheidungsmerkmal liegt darin, dass das Körpergewicht trotz erheblicher Gewichtsabnahme noch im oder über dem Normbereich liegt. Damit bleibt die Schwere der psychischen und körperlichen Beeinträchtigung dennoch vergleichbar hoch.
Atypische Anorexie ist eine ernstzunehmende Essstörung, die oft übersehen wird, da Betroffene trotz deutlicher Symptomatik kein Untergewicht aufweisen. Dennoch leiden sie unter massiven psychischen Belastungen und zeigen Verhaltensweisen, die mit denen der klassischen Anorexie vergleichbar sind. Besonders auffällig sind dabei eine stark verzerrte Körperwahrnehmung, eine ausgeprägte Angst vor Gewichtszunahme sowie ein restriktives Essverhalten. Die damit verbundenen gesundheitlichen Risiken sind erheblich – sowohl körperlich als auch psychisch – und dürfen keinesfalls unterschätzt werden.
Zentral bei der atypischen Anorexie ist eine ausgeprägte Körperbildstörung, bei der Betroffene ihre Figur trotz objektiv „normalem“ oder höherem Gewicht als zu dick empfinden. Diese verzerrte Selbstwahrnehmung geht mit einer extremen Angst vor Gewichtszunahme einher, die das Denken und Handeln stark dominiert. Selbst kleinste Veränderungen des Körpers können intensive Angst und Kontrollverhalten auslösen. Das Körpergewicht wird übermäßig stark in die Selbstbewertung einbezogen, was zu großem psychischem Leidensdruck führt.
Trotz eines Gewichts im Norm- oder leichten Überbereich zeigen Betroffene ein stark restriktives Essverhalten, das dem der klassischen Anorexie gleicht. Die Nahrungsaufnahme wird bewusst stark eingeschränkt, oft begleitet von strengen Essensregeln und dem Vermeiden bestimmter Lebensmittel. Ziel ist es, eine weitere Gewichtsabnahme zu erzwingen oder einer vermeintlichen Zunahme vorzubeugen. Dieses Verhalten kann schwerwiegende körperliche und psychische Folgen haben, obwohl das äußere Erscheinungsbild oft nicht auf eine Essstörung hinweist.
Obwohl das Körpergewicht bei atypischer Anorexie im Normal- oder Überbereich liegt, sind die gesundheitlichen Risiken mit denen der klassischen Anorexie vergleichbar. Durch die anhaltende Unterversorgung mit Energie kann es zu ernsthaften körperlichen Folgen wie hormonellen Störungen, Kreislaufproblemen, Knochenschwund und Organschäden kommen. Auch die psychische Belastung ist hoch und kann zu Depressionen, Angststörungen und sozialem Rückzug führen. Das Risiko wird häufig unterschätzt, da das äußere Erscheinungsbild nicht dem gängigen Bild einer Essstörung entspricht.
Die Diagnosestellung bei atypischer Anorexie ist mit besonderen Herausforderungen verbunden, da die Erkrankung äußerlich oft nicht erkennbar ist. Vor allem das fehlende Untergewicht führt dazu, dass Warnzeichen übersehen oder verharmlost werden. Dies erschwert eine frühzeitige Erkennung und verzögert notwendige therapeutische Maßnahmen.
Die größte Herausforderung bei der Diagnosestellung atypischer Anorexie besteht darin, dass Betroffene äußerlich oft nicht dem typischen Bild einer Essstörung entsprechen. Da kein Untergewicht vorliegt, bleibt die Erkrankung häufig unerkannt oder wird nicht ernst genommen, sowohl im sozialen Umfeld als auch im medizinischen Kontext. Dies führt oft zu einer verzögerten Diagnose und damit auch zu einem verspäteten Behandlungsbeginn.
Atypische Anorexie wird aufgrund des Normalgewichts häufig verharmlost oder falsch eingeordnet. Statt einer ernsthaften Diagnose erhalten Betroffene nicht selten Rückmeldungen wie „gesundes Abnehmen“ oder werden fälschlich als lediglich gestresst, diszipliniert oder gesundheitsbewusst eingeschätzt. Dies kann dazu führen, dass Symptome übersehen, fehlinterpretiert oder sogar unbewusst bestärkt werden. Eine fundierte Einschätzung durch fachlich geschultes Personal ist daher entscheidend, um eine angemessene Behandlung zu ermöglichen.
Die psychische und soziale Belastung bei atypischer Anorexie ist oft immens, bleibt jedoch im Alltag häufig unbemerkt. Betroffene kämpfen innerlich mit ständiger Angst, Schuldgefühlen und Selbstzweifeln, während sie nach außen oft funktionieren und ihr Leid verbergen. Gleichzeitig erschwert das fehlende Verständnis im sozialen Umfeld den offenen Umgang mit der Erkrankung. Isolation, sozialer Rückzug und das Gefühl, nicht „krank genug“ zu sein, verstärken die seelische Not zusätzlich.
Die Folgen einer atypischen Anorexie sind vielschichtig und betreffen sowohl den Körper als auch die Psyche. Trotz fehlendem Untergewicht können ernsthafte gesundheitliche Schäden entstehen, die oft unterschätzt werden.
Atypische Anorexie kann trotz „normalem“ Körpergewicht schwere körperliche Folgen haben, die denen der klassischen Anorexie in nichts nachstehen. Durch die chronische Unterversorgung mit Energie leidet der gesamte Organismus – selbst lebenswichtige Funktionen können beeinträchtigt werden. Hormonelle Veränderungen, Zyklusstörungen, Kreislaufprobleme und eine reduzierte Knochendichte sind häufige Begleiterscheinungen.
Zu den körperlichen Risiken zählen unter anderem:
Psychische Folgen der atypischen Anorexie sind oft schwerwiegend und beeinträchtigen das emotionale Wohlbefinden sowie das soziale Leben der Betroffenen stark. Die ständige Angst vor Gewichtszunahme, das zwanghafte Essverhalten und das geringe Selbstwertgefühl können zu schweren depressiven Verstimmungen, Angststörungen und Zwangssymptomen führen. Viele Betroffene ziehen sich sozial zurück, erleben Isolation und entwickeln das Gefühl, nicht „krank genug“ für Hilfe zu sein. Die psychische Belastung ist oft ebenso gravierend wie bei anderen schweren Essstörungen.
Die Behandlung der atypischen Anorexie erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der psychotherapeutische, ernährungstherapeutische und medizinische Maßnahmen miteinander verbindet. Dabei steht die Psychotherapie im Mittelpunkt, um die zugrunde liegenden psychischen Muster zu verändern und ein gesundes Verhältnis zu Körper und Essen zu fördern.
Psychotherapie ist der zentrale Baustein in der Behandlung der atypischen Anorexie, da sie die zugrunde liegenden psychischen Muster gezielt anspricht. Besonders wirksam ist eine kognitive Verhaltenstherapie, die dabei hilft, verzerrte Körperwahrnehmungen, Essensängste und den übermäßigen Einfluss von Gewicht und Figur auf das Selbstwertgefühl zu bearbeiten. Ziel ist es, ein gesünderes Verhältnis zum eigenen Körper und zum Essen zu entwickeln. Auch emotionale Auslöser und belastende Denkmuster werden in der Therapie reflektiert und verändert.
Die Ernährungstherapie spielt eine entscheidende Rolle bei der körperlichen Stabilisierung und dem Aufbau eines gesunden Essverhaltens. Betroffene lernen, feste Mahlzeitenstrukturen zu entwickeln, verbotene Lebensmittel schrittweise wieder zuzulassen und Hunger- sowie Sättigungssignale wahrzunehmen. Dabei wird nicht nur die Nahrungszufuhr verbessert, sondern auch der Umgang mit Essensängsten therapeutisch begleitet. Das Ziel einer Ernährungstherapie liegt darin, langfristig ein ausgewogenes und angstfreies Essverhalten zu fördern.
Die medizinische Betreuung ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Behandlung, da auch bei atypischer Anorexie ernsthafte körperliche Risiken bestehen können. Regelmäßige ärztliche Kontrollen überwachen Kreislauf, Blutwerte, Hormonhaushalt und Organfunktionen, um gesundheitliche Schäden frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. In besonders belasteten Fällen kann eine stationäre Aufnahme notwendig sein, etwa bei starkem körperlichem Abbau oder akuter Gefährdung. Die enge Zusammenarbeit zwischen Medizin, Therapie und Ernährung ist dabei essenziell für eine ganzheitliche Versorgung.
Um Rückfälle zu vermeiden und den Behandlungserfolg nachhaltig zu sichern, ist eine langfristige Stabilisierung entscheidend. Betroffene erlernen gesunde Bewältigungsstrategien zu entwickeln und Selbstfürsorge in ihrem Alltag zu verankern. Regelmäßige Nachsorgetermine und therapeutische Begleitung unterstützen, Herausforderungen frühzeitig zu erkennen und zu bewältigen. So wird ein stabileres Körper- und Selbstbild aufgebaut, das auch in belastenden Situationen trägt.
Atypische Anorexie zeigt eindrücklich, dass Essstörungen weit über das sichtbare Körpergewicht hinausgehen. Trotz eines normalen oder sogar erhöhten Gewichts leiden Betroffene unter starken psychischen Belastungen und ernsthaften gesundheitlichen Risiken. Die Krankheit erfordert daher eine ebenso ernsthafte Diagnose und Behandlung wie die klassische Anorexie.
Kategorien: Essstörung